Nagold - gepflegt, nur sehr wenig Leerstände!
Im Rückblick hat der Handel seit Gründung der Stadt wahre Kapriolen geschlagen. Heute lässt sich der Verlauf der Entwicklung über die Jahrhunderte gut fundiert nachvollziehen und daraus die Entwicklung der nächsten Jahrzehnte zuverlässig ableiten. Der Handel war schon immer Sache der Bürger, die damals als neuer und freier Stand vermehrt aufzutreten begannen. Im Laufe der Zeit nahm seine Bedeutung vor allem im Laufe der Industrialisierung stark zu. Digitale Handelsformen würden dem tradierten Handel inzwischen den Boden entziehen, wären da nicht gewisse menschliche Grundbedürfnisse, die bleiben und ihn als Bedarf physisch an den Wohnort binden. Mag er auch noch utilitäre Zwecke erfüllen, hat sich sein Status doch erheblich verändert.
Zusammen mit dem Handwerk haben Handel und Gewerbe unsere Alt- und Innenstädte, die sie einst hervorbrachten und ernährten, so gut wie verlassen. Sie sind wirtschaftlicheren Bedingungen gefolgt und sind in die Außenbezirke gezogen.
Handel und Gewerbe haben einen neuen immateriellen Zweig hervorgebracht: die Dienstleistung. Sprechen wir doch heute von der Dienstleistungsgesellschaft, die immer weitere Kreise unserer Wirtschaft dominiert. Ihr Bedarf an Platz, Erschließung und Funktion ist weitgehend flexibel. Aber auch hier geht es um Wirtschaftlichkeit. Jedenfalls sehen wir Vertreter dieser Branche wieder in die Innenstädte einziehen, die Handel und Gewerbe gerade verlassen haben. Das alles geschieht nach Angebot und Nachfrage und nach bestem marktwirtschaftlichem Verständnis.
Das allein scheint jedoch nicht zu genügen, wie ein Gang durch die desolate Stadt eindringlich bestätigt. Die Verödung schreitet trotzdem fort. Warum?
Die Altstadt zeugt von einem Wandlungsprozess. Zum Teil gibt es noch den traditionellen Handel mit Gütern des täglichen Bedarfs. An dessen Stelle sind aber vermehrt Dienstleister getreten. Und es zeigen sich bereits die ersten neuen Ladenformate, die sich nicht oder nicht allein um Alltagsgüter kümmern. Sie brauchen eine Altstadt, die darauf vorbereitet ist. Die Realität: Ausbau, Umbau und Neubau von Gebäuden unterliegen massiven Restriktionen aufgrund eines unzeitgemäßen Denkmalschutzes. Ihre Eigentümer haben wenig Motivation, die Gebäude zu erhalten - eine Sanierung der historischen Substanz wäre extrem aufwendig und teuer. Einen Mehrwert bringt das nicht, da die Nutzung weiterhin eingeschränkt ist. Die Folge: Wohnhäuser werden in kleine Wohneinheiten unterteilt, oft in marginalem Zustand, um wenigstens ein paar Mieteinnahmen zu generieren. Es entsteht ein Mieter-Prekariat in der Altstadt.
Öffentliche und private Interessen stehen sich mit ihren divergierenden Zielen immer mehr im Wege, je mehr öffentliche Bedeutung die Altstadt gewinnt. Den Anfang zur Lösung des Konfliktes hat die Stadtverwaltung schon mit der Vorkaufssatzung gemacht. Sie räumt ihr die Möglichkeit ein, das gewaltige Denkmal Altstadt von der eigenwilligen privaten allmählich in eine öffentliche Verfügung umzuwidmen, um die Altstadt vor allem an all ihre herangewachsenen kulturellen Ansprüche besser anpassen zu können. Und man hat endlich die veraltete Altstadt-Satzung in Angriff genommen, wenn auch recht zögerlich und die Befindlichkeiten der BewohnerInnen abtastend.
Sich weiter entwickelnde bürgerliche Wertvorstellungen sind der Motor der Stadtentwicklung; vor allem der Altstadt. Dazu zählt als einer der entscheidendsten Faktoren die sich ausweitende Freizeit in der Gesellschaft; heute infolge der Ausdifferenzierung der Erwerbsverhältnisse, die auf den Beginn der Industrialisierung zurückgeht. Neue Handelsformen, Dienstleistungen und das Freizeitverhalten, darauf lassen sich also die Entwicklungsschwerpunkte in dem anstehenden Transformationsprozess zurückführen. Stadtentwicklung hat sich danach auszurichten.
Neben die utilitären Ansprüche des Handels sind kulturelle getreten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der zunehmenden Freizeit und ihrer differenzierten Gestaltung stehen. Je höher die Kaufkraft in einer Stadt desto höher der Anspruch an Handel, Freizeit und Kultur. Sonst wandert die Kaufkraft in jene Städte ab, die kulturelle Ansprüche besser zu befriedigen wissen. Und das ist der Fall. Um sie anders herum zu binden, bedarf es aller Qualitäten, die dafür unerlässlich sind. Die gibt es in Herrenberg aber noch nicht.
In Herrenberg hat es in der Vergangenheit an einem übergreifenden Stadtentwicklungskonzept gefehlt:
- Im Leitbild 2035 findet sich zwar eine Anhäufung von Einzelheiten aber kein innerer Zusammenhang wieder. Die Einzelheiten sind widerlegbar, auch wenn sie tagesaktuell richtig erscheinen, weil sie keinen großen entwicklungsgeschichtlichen Strängen folgen und sich auch nicht auf ein Benchmarking stützen.
- Davor hatte der Gemeinderat ein Verkehrskonzept IMEP 2030 beschlossen, das die Bedürfnisse der Stadtentwicklung und besonders der Altstadt sehr vernachlässigt hat. Der IMEP schreibt die seit Jahrzehnten bestehenden untragbaren Verkehrsverhältnisse fort. Seine Dominanz gipfelt in der Eliminierung aller wichtigen Verkehrsthemen aus dem Klimafahrplan.
Es ist unter Bürgerbeteiligung in Arbeit. Aber auch darin fehlen bisher die relevanten Problemstellungen wie ein Handels- und Dienstleistungskonzept, ein Verkehrs- und Erschließungskonzept, der herangewachsene kulturelle Wert des Denkmals Altstadt und ein verändertes bürgerliches Freizeitverhalten. Nur zusammen führen sie zu den richtigen Fragestellungen, aus denen sich schließlich alle Antworten schlüssig und belastbar ableiten.
Das Rahmenkonzept lässt den Verkehr ungehindert in vollem Umfang mitten durch die Stadt laufen, wie in den drei Schlusslichtern der landesweiten Entwicklung, in denen das heute auch noch so ist und zu denen Herrenberg zählt (mit Rottweil und Hechingen). Im Gemeinderat traut sich niemand, den verkehrlichen Status Quo infrage zu stellen, aus Furcht, als Phantast ins Exil verbannt zu werden.
Die Spitzenreiter unter den Kommunen haben den Verkehr längst aus der Stadt gewiesen. Je vollständiger, desto erfolgreicher hat sich der Handel dort ausbreiten können. Zur Beschlussfassung des IMEP war dieser Zusammenhang offenbar noch nicht hinreichend bekannt, weshalb der Beschluss jetzt unter neuen Voraussetzungen verändert und das Rahmenkonzept Innenstadt fortgeschrieben werden muss.
Das heißt aber auch, den Verkehr gänzlich aus der Stadt herauszunehmen und Herrenberg zu umfahren. Ohne Umfahrung keine Veränderung zum Besseren. Die vielen Details im IMEP, Leitbild 2035 und Rahmenkonzept Innenstadt bleiben unter unveränderten Voraussetzungen wirkungslos. Das gewissenhafte Benchmarking erlaubt leider keine anderen Schlüsse. Der Handel, der in der Lage ist, Kaufkraft wieder zurückzuholen, bleibt so lange weg, bis der Verkehr vollständig ausgekehrt ist.
Nun kann man zwar entgegenhalten, dass mit dem Seeländer ja schon ein Anfang gemacht sei, der wachsenden Einwohnerzahl ein zeitgemäßes Handelszentrum anzubieten. An dem Standort hat es jedoch nichts von allem, was es dazu braucht.
Das Seeländer ist die richtige Idee am falschen Ort. Es zieht der Entwicklung in der Altstadtschale entlang der Hindenburgstraße Aufmerksamkeit ab und weckt Erwartungen, die es nicht erfüllen kann.
Im Gegensatz dazu erfüllt die künftige "Shopping Mall Hindenburgallee" alle Anforderungen an einen Handel, der die Kaufkraft zurückbringt, wenn aller Verkehr draußen bleibt:
In der Hindenburgstraße stört heute die Beschlusslage die Entwicklung des Grundstücks zwischen Volksbank und Zinser. Mit der Umfahrung wird sie obsolet, weil sich die Situation grundlegend ändert. Die Verkehrsbelastung als Entscheidungsgrundlage fällt weg. Damit kann das Grundstück wieder in die städtebauliche Entwicklung einbezogen werden. Das ist dringend notwendig. Denn schon scheint die bestehende Situation die Entscheidung über den Verbleib der Albert-Schweizer-Schule zu beeinflussen. Selbstverständlich ist es wichtig, der Schule am demselben Standort einen Ersatzneubau zu geben. Kinder vor allem im Grundschulalter gehören in die Stadt. Die Verkehrsgefährdung ist jetzt ausgeräumt.