Fußgängerzone in Magdeburg
Der Auszug des Handels aus unseren alten Städten als Umschlagplatz für seine Waren kommt zur rechten Zeit. Wir brauchen die Städte jetzt als Bühne unseres bürgerlichen Alltags. Und der hat sich in den letzten 300 Jahren seit dem Beginn der Industrialisierung deutlich gewandelt.
Das Bürgertum hat sich als gesellschaftspolitisch treibende Kraft der Gegenwart und Motor der Entwicklung ganz selbstverständlich etabliert. Es hat seine eigenen gesellschaftlichen Bräuche, Sitten und Verhaltensweisen entfaltet und ausgebaut. Dazu zählt zu allererst das Kulturgut Freizeit. Zur Gründungszeit von Herrenberg war der Begriff noch unbekannt. Und das Straßencafé haben erst die italienischen Gastarbeiter, wie man sie nannte, in den 50er Jahren mitgebracht.
Seit Beginn der Industrialisierung kamen immer mehr Menschen in Arbeit. Sie erstritten sich bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne. Mehr Geld kam unter die Leute und die Produktion stieg weiter. Es begann sich allmählich auch mehr frei verfügbare Zeit einzustellen. Eine Entwicklung, die sich nach Kriegsende in der Kampagne „Am Samstag gehört Papa mir“ manifestierte. So viel Freizeit war neu. Sie lud ein, Selbstverwirklichung und Identität nicht nur instinktiv zu folgen sondern als eigenverantwortliche kulturelle Auseinandersetzung mit dem gerade erst errungenen Gut der Freizeit zu verstehen.
Und damit stoßen wir geradenwegs auf den Stoff, aus dem unsere Städte weiter wachsen werden: unser Freizeitverhalten als der Summe unserer Vorlieben, Bedürfnisse, Erwartungen und Hoffnungen, von Entspannung und einem guten Leben in glücklichen Tagen. Einem authentischen und selbstbewussten Freizeitverhalten, das seine Qualität nicht an neuerlichen Konsum verschenkt, sondern mit viel Phantasie einfallsreich und erfinderisch selbst kreiert, sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen. Soweit der erste Teil der Geschichte, die mit der Freizeitkultur und dem darin eingeschlossenen neuerlichen Weinbau ihr Narrativ gefunden hat.
Das Bewusstsein, dass so weit transformierte Vorstellungen kaum noch mit bestehenden Verwaltungsstrukturen erreichbar sind, muss sich erst noch durchsetzen. Darauf ist Verwaltung noch nicht eingestellt. Denn sie wird mit all ihren Experten kaum Visionen haben können. Aus genau diesem Grund haben jetzt in Rottweil die BürgerInnen eine Visionswerkstatt gegründet. Ob darin nicht ein Widerspruch in sich liegt, ist dabei eine lässliche Frage. Jedenfalls greift die lokale Handlungslogik im Moment zu kurz.